Eine Poesie des Verlierens – Jo McMillan „Motherland“ (dt. „Paradise Ost“)

Eine Poesie des Verlierens – Jo McMillan „Motherland“ (dt. „Paradise Ost“)

Dieses Buch war mein persönliches Lesehighlight des Jahres 2015. Das kann ich guten Gewissens sagen. Es passiert nicht oft, dass ich ein Buch nach jedem Kapitel zur Seite lege, um mir den Rest aufzusparen, weil ich nicht will, dass es schnell vergeht. „Motherland“ von Jo McMillan (deutsch: „Paradiese Ost„)ist so ein Buch. Und es ist eine ganz wunderbare Geschichte.

Da ist zum einen diese erfrischend andere Perspektive auf die deutsch-deutsche Geschichte. Die Protagonistin ist ein englisches Mädchen, ihre Mutter eine überzeugte Sozialistin die eingeladen wird, einen Sommer über zum in Potsdam Englisch zu unterrichten. Es ist genau das Gegenteil zur westdeutschen Perspektive, mit der ich aufgewachsen bin und die in etwa so aussieht: die DDR ist ein Unrechtsstaat, der seine Bewohner misshandelt. Für dieses Mädchen (und ihre Mutter) ist die DDR ein Sehnsuchtsort, so naiv die beiden auch sein mögen.

Viele Kinder und Jugendliche haben Sehnsuchtsorte, und oft geraten diese irgendwann mit der Realität aneinander. So ist auch „Motherland“ eine Coming-of-Age-Geschichte und eine sanfte Entzauberung, in der alles was England an Alternativen anzubieten hat, wenig lohnend erscheint. Selbst als jugendliche Sozialistin (und es gibt ein paar bizarr schöne Einblicke in die bürokratisierte Organisationsstruktur der West-Sozialisten) ist das Politische nicht so wichtig wie das Persönliche. Und die eigenen Gefühle.

Auch sprachlich macht „Motherland“ ganz viel Freude, was an der zärtlich-lakonischen Sprache und dem zurückhaltenden Humor der Autorin liegt, an Sätzen wie: „Mr Howard married Nancy when she was twenty-one and stayed with her until she collapsed like the capitalist system“ oder „like a woman raised from birth on thin borscht and firm belief.“ In England wurde dem Buch gleichzeitig vorgeworfen, linke Ideale zu verraten und die DDR zu idealisieren, wozu ein weitere, wunderbarer Satz aus „Motherland“ passt: „Nothing we do is without consequences. We must simply try to intend them.“

„Motherland“ oder „Paradise Ost von Jo McMillan ist ein humorvolles Buch über ein Leben auf der Verliererseite der Geschichte. Es beschreibt mit vielen faszinierenden Details und immer leicht melancholische ein ungewöhnliches Erwachsen-werden.

Spekulativ – Das Ende der New Economy

Spekulativ – Das Ende der New Economy

Kurz vor der Hochphase der New Economy vor dem Jahrtausendwechsel beschließen drei Freunde und Informatik-Studenten, sich mit der Gründung eines Start-Up-Unternehmens selbständig zu machen. In einem Umfeld, in dem Visionen schnell mit viel Geld bezahlt werden, stehen ihnen sofort alle Türen offen. Aber sie merken ebenso schnell, dass sie nicht lange Zeit haben, ihre Vision zu entwickeln. Schnell werden sie zu den Getriebenen eines immer hysterischeren Umfelds. Spekulativ beschreibt die Geschichte von zwei Jugendfreunden, die sich einen Traum verwirklichen wollen und dabei immer wieder vor der Entscheidung stehen, ob sie sich und ihre Träume verkaufen lassen.