Schwierige  Zeiten in Brasilien

Schwierige Zeiten in Brasilien

In den letzten Wochen waren wieder einmal schlimme Neuigkeiten aus Brasilien zu lesen. Wieder einmal ging es um Rio de Janeiro bzw. um die Favelas in Rio de Janeiro. Videos mit anhaltenden Schusswechsel aus dem dicht besiedelten Stadtteil waren im Internet zu finden, das Militär fuhr mit Panzern auf und besetzte die Armensiedlung. Dieser Bilder scheinen zu Rio de Janeiro zu gehören wie der Zuckerhut und Karneval, aber worum geht es in diesen Auseinandersetzungen eigentlich?

Die Drogengangs und Rio de Janeiro

Wie häufig, wenn man verstehen möchte, was in Brasilien passiert, ist „The Intercept“ eine hervorragende Quelle. Der sehr gute informierte Misha Glenna – Autor von „Nemesis“, einer detailreichen und spannenden Dokumentation über einen der Anführer einer Drogengang in der Favela Rocinha – beschreibt was passiert ist: ein Kampf um die Macht in der Drogenorganisation wird in der Favela geführt, die von der Drogenorganisation beherrscht wird. Die fast 100.000 Bewohner des Stadtteils, der noch vor wenigen Jahren als „befriedet“ galt, leiden am meisten unter den Kämpfen. Und selbst der erneute Einsatz von Militär – auch in Brasilien das Eingeständnis der Polizei, dass man der Lage in der eigenen Stadt nicht mehr gewachsen ist – wird auf Dauer nicht helfen, um für Rocinha zu und seine hauptsächlich armen Bewohner Ruhe und Frieden zu bringen.

Der Kampf um Drogen

Der Gründer von The Incercept, Glenn Greenwald und sein Partner David Miranda erweitern den Blick und fragen nach den Gründen für die Brutalität der Auseinandersetzungen einerseits, und die große Macht der Drogengangs auf der anderen Seite. In den vielen und mitunter riesigen Armenvierteln von Rio de Janeiro regieren nach kurzen Phasen der „Befriedung“ heute wieder Drogengangs. Wobei der „Frieden“ oft nur von der politischen Seite so gesehen und benannt wurde, und die Bewohner dieser Favelas dann häufig anstatt von einer Drogengang, von korrupten Polizisten beherrscht wurden. Die Macht der Drogengangs in der Favela sichert die Lieferwege der Drogen nach Rio de Janeiro und von dort in viele Teile der Welt, aber die Hauptkonsumenten der Drogen befinden sich auch in Rio de Janeiro in den reicheren Stadtvierteln, die oft – und wie am Beispiel von Rocinha gut zu sehen – direkt neben den Favelas liegen. Weniger überraschend aber um so überzeugender zeigen Greenwald und Miranda, dass der Kampf gegen die Drogen nicht nur längst verloren ist, sondern genau diese Gewalt erst produziert, die gerade mit Militäreinsatz wieder zu kontrollieren versucht wird. Sie beschreiben auch kurz, dass es funktionierende Alternativen zur Kriminalisierung von Drogen gibt.

Der Kampf um Brasilien

João Filho geht ebenfalls im Intercept noch weiter und zeichnet ein ganz düsteres Bild von der Zukunft Brasiliens, das er unter einer reaktionären und vor allem evangelikalen Welle versinken sieht. Mit einem Kandidaten für die nächste Präsidentenwahl, neben dem Donald Trump wohlerzogen und gemäßigt erscheint, dem zunehmendem Einfluss von ultra-konservativen Politikern im ganzen Land und einer wachsenden Gruppe von Brasilianern, die sich dann sogar die niemals vollständig aufgearbeitete Zeit der Militärdiktatur zurück wünschen, scheint für Brasilien die Zeit der Ruhe und der Hoffnung in weiter Ferne. Die (politischen) Kämpfe werden härter und extremer und die Kommentare zu den o.g. Artikeln auf The Intercept zeigen dies leider zu gut.

Foto von ogwen: http://www.panoramio.com/photo/66712124

Gewaltexzesse und Militär auf den Straßen in Espírito Santo

Gewaltexzesse und Militär auf den Straßen in Espírito Santo

Gerade wurde das brasilianische Militär in den Bundesstaat Espírito Santo gerufen, um dort wieder Ruhe herzustellen. Es wird über mehr als 75 Tote, Gewaltexzesse und Plündereien im Verlauf des letzten Wochenendes berichtet. (Hier ein Artikel in Englisch) Was ist passiert?

Die Unruhen begannen, nachdem bekannt wurde, dass die Polícia Militar nicht mehr aus ihren Polizeistationen und Kasernen ausrückt – sie ist für Präsenz auf der Straße und Verbrechensverhinderung zuständig. Warum rücken die Polizisten nicht aus? Weil vor den Toren der Polizeistationen Demonstranten stehen und sie daran hindern. Diese Demonstranten sind Angehörige der Polizisten, die mit dieser Demonstration einen höheren Lohn der Polizisten erzielen wollen. Das ist geschickt gedacht, denn brasilianische Polizisten dürfen selbst nicht streiken, aber sie lassen sich von den teilweise wenigen Demonstranten offensichtlich gerne davon abhalten, auf die Straßen zu gehen. Und die Forderungen der Angehörigen scheint absolut berechtigt, denn die Militärpolizisten verdienen sehr wenig bei einem hohen Risiko für Leib, Leben und Familie. In Espirito Santo wurden die Gehälter der Polizisten seit 4 Jahren nicht mehr angehoben, und das bei einer jährlichen Inflationsrate zwischen 6% und 11% !

So bereitwillig die Polizisten sich davon abhalten lassen, auf die Straßen zu gehen und so verständlich ihre Forderungen sind …. äh, die der Angehörigen, so katastrophal sind die Auswirkungen. In dem von einer massiven Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit gebeutelten Land haben wenige Tage ausgereicht, um die öffentliche Ordnung teilweise aufzulösen. In vielen Orten haben Schulen, Krankenhäuser und Geschäfte geschlossen. Busse fahren in einigen Orten nach 16 Uhr nicht mehr. Ob die 200 abgestellten Soldaten die Ordnung wieder herstellen werden, darf bezweifelt werden. Das eigentlich erschreckende ist aber, wie schnell ganze Städte im Chaos versinken können, wenn die Androhung von Bestrafung nicht mehr vorhanden ist.

Foto: Avenida do Centro, Vitória, ES. Von Isabela Bessa auf Flickr.
Rechte: CC-BY-NC 2.0