Und in Brasilien? Schlimme Zeiten.

Und in Brasilien? Schlimme Zeiten.

Bevor ich mich vor Trump und seinen europäischen wie südamerikanischen Doppelgängern und der Schlechtigkeit der Weilt generell in Weltflucht stürze und nur noch über die schönen Seiten von Brasilien schreiben werde, gibt es diesen Monat noch einmal einen Blick auf das hässliche Gesicht dieses zwiespältigen Landes. Ein Blick auf das, was man in letzter Zeit in unseren Medien über Brasilien lesen konnte.

Zuerst sind da erneute Gefängnisaufstände in Manaus und anderen Orten im Norden des Landes. Wieder waren sie blutig und äußerst gewalttätig. Es ist ein altes Thema und es wird nicht besser. Neu ist allerdings, dass seit kurzem das Militär eingreifen darf und in die Gefängnisse einmarschieren darf. So verzweifelt ist die Situation also. Seit Jahresbeginn hat es schon mehr als 100 Tote bei Revolten und Bandenkämpfen in brasilianischen Gefängnissen gegeben. (Und nur zur Erinnerung: das sind gerade einmal ein paar Wochen!!)

Das zweite, traurige Thema, das es hier in Deutschland ab und zu in die Medien schafft: Brasilien erlebt eine gewaltige wirtschaftliche Rezession. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie schon seit Jahren nicht mehr, die Silvesterfeiern in vielen Städten sind aufgefallen und selbst die Karnevalsveranstaltungen werden in einigen Städten abgesagt. Der Staat Rio de Janeiro ist pleite und hat seine Lehrer seit vielen Monaten nicht bezahlt. Gerade wurde mit der Bundesregierung ein Plan ausgehandelt, wie dem Staat geholfen werden kann, leider sind dabei nur Austeritätsmaßnahmen heraus gekommen. Im ganzen Land haben Studenten Universitäten besetzt, um gegen das wirtschaftliche, vor allem aber politische Chaos zu demonstrieren. Und derweil versinkt Brasilien in einer ebenfalls schlimmen, politischen Rezession.

Der derzeitige Präsident Michel Temer ist nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen die gewählte Präsidentin Dilma Roussef ins Amt gekommen, das man nur als Schmierentheater bezeichnen kann. Offiziell wurde die Absetzung vom Dilma mit dem Kampf gegen Korruption begründet – das war über Monate lang der gängige Narrativ – um dann mit Temer einen Mann zum Präsidenten zu bestimmen, der nachweislich Spendengelder missbraucht hat und von Wahlen für politische Ämter für die nächsten Jahre ausgeschlossen ist. Schlüsselfigur in dem Amtsenthebungsverfahren war Eduardo Cunha, der das Verfahren gegen Dilma als Druckmittel nutzte, um ein Ermittlungsverfahren wegen Korruption gegen ihn selbst zu verhindern. Sein Plan ist nicht aufgegangen, Cunha sitzt derzeit im Gefängnis.

Die ungewählte Regierung Temer versucht derweil in den zwei Jahren bis zur nächsten Wahl so viel neoliberale Politik umzusetzen, wie möglich. Staatskonzerne sollen privatisiert, die Sozialausgaben für Jahrzehnte festgeschrieben werden. Es wird die übliche, neoliberale Agenda durchgenudelt: Privatisierung, Deliberalisierung, Rückbau von Umwelt- und Sozialstandards. Hauptnutznießer dieser „Reformen“ sind die alten, weißen, superreichen (und zum großen Teil korrupten) Männer der aktuellen Regierung.

Eine der wenig erfreulichen, politischen Geschichten aus Brasilien ist das Ermittlungsverfahren „lava jato“, das bereits zahlreiche Politiker und Wirtschaftsfunktionäre hinter Gitter gebracht hat. Der derzeit noch teilstaatliche Ölkonzern Petrobras hat in mehreren Ländern Vergleichen zugestimmt und Milliarden an Strafen gezahlt, weil die Vergabe von Aufträgen manipuliert war und damit Gelder in Wahlkampfkassen von Politikern umgeleitet wurden. Der Richter Sergio Moro aus Paraná, Kopf dieser Ermittlungen, macht seine Arbeit gut und gewissenhaft, ist aber weit davon entfernt, ein unparteiischer Kämpfer für Recht und Ordnung zu sein, wie er in vielen brasilianischen Medien dargestellt wird. Eine Rede von Moro in Heidelberg wurde von Protesten begleitet, weil im Einflussnahme auf das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma vorgeworfen wird, so hat er kurz vor der Präsidentenwahl Tonbänder mit geheimen Telefonaufzeichnungen zwischen der Präsidentin und dem Expräsidenten Lula der Presse zu gespielt (gegen Lula wird ebenfalls wegen Korruption ermittelt). Moro steht der Partei von Expräsident Cardoso PSDB nahe und soll es selbst nicht allzu genau nehmen, wenn es darum geht, fremde Gelder auszugeben.

Um das Chaos perfekt zu machen, ist der Richter des obersten Gerichtshofes, der dem Anti-Korruptions-Verfahren „lava jato“ vorsitzt, vor kurzem bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Man muss nicht verrückt sein, um hier eine Verschwörung am Werke zu sehen.

Gibt es Lichtgestalten? Leider sieht es in Brasilien so schlimm aus, wie in den USA mit Trump. In Rio de Janeiro wurde gerade ein fundamentalistischer Evangelikaler zum Bürgermeister gewählt und mit Bolsonario steht ein ultra-nationaler Extremist in den Startlöchern, der die Folterer der brasilianischen Militärdiktatur lobt und einer Abgeordneten im Plenarsaal schon mal ins Gesicht sagt, dass sie es gar nicht wert sei, vergewaltigt zu werden. Nicht wenige Brasilianer sehen in ihm eine Art brasilianischer Donald Trump und wollen ihn wählen.

Und jetzt nicht ganz depressiv zu werden, zum Ende noch eine fröhlich/traurige Nachricht aus diesem riesigen Land voller Wunder: im Amazonas wurde vor kurzem ein indianischer Stamm aus einem Helikopter gesichtet, der vermutlich noch nie Kontakt zu Zivilisation außerhalb seines Urwaldes hatte. Und wenn man sich die anderen Nachrichten aus Brasilien anschaut, kann man sich kaum gegen den Gedanken wehren: die Glücklichen. Bilder der Glücklichen gibt es in einer kleinen Fotogallerie des Guardian.

Titelfoto von Rodrigo Soldon 2 auf Flickr